Humoreske von Paul Bliß.
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 15.01.1899,
in: „General-Anzeiger für Chemnitz und Umgegend” vom 11.02.1899
Texte in grüner Schrift aus der „Stralsundischen Zeitung”,
Texte in roter Schrift aus dem „General-Anzeiger für Chemnitz”.
Graf Brenken war gewiß ein guter Herr; noch nie hatte einer seiner Diener sich beklagen können über schlechte Behandlung; nun der Graf aber diese neue Entdeckung machte, daß seine besten Cigarren rapid abnahmen, daß die Flaschen seiner theuersten Liköre zusehends leer wurden, nun hatte auch seine Langmuth ein Ende, und er fuhr mit einem Donnerwetter dazwischen. Natürlich wolte es Niemand gewesen sein.
Da eines Tages kam der Graf aber dahinter, daß in seiner Abwesenheit der Kammerdiener Jean den noblen Herrn spielte, in den gräflichen Kleidern ausging und auf vornehmem Fuße lebte.
Und nun kam der Krach.
Als Jean vor seinem Herrn stand und dessen faltenfinstere Stirn sah, merkte er sofort, was ihm bevorstand, er nahm deshalb alle Kourage zusammen und machte sich in aller Eile einen Vertheidigungsplan zurecht.
„Komm näher,” sagte der Graf.
Jean trat einen Schritt näher heran an den Stuhl des Grafen und bemühte sich, ein möglichst wehmuthvolles Gesicht zu machen.
Als der Graf ihn so betrübt dastehen sah, mußte er über den Komödianten lächeln, indessen besann er sich sofort wieder und wurde ernst.
„Ein Lump bist Du!” wetterte er los.
Und ganz schüchtern entgegnete Jean: „Sollten der Herr Graf sich nicht doch irren?”
Wieder mußte der Herr lächeln, wurde aber auch gleich wieder ernst und scholt schalt: „Ein ganz abgefeimter Kerl, jawohl, das bist Du!”
Schweigend, getroffen, geknickt stand Jean da.
„Jawohl! das bist Du! — Schweig er!”
Gestatten der Herr Graf, — ich sagte ja auch gar nichts.”
„Wollt' ich Dir auch gerathen haben!” und mit einem durchbohrenden Blick schaute er ihn an.
Stramm, die Hände an den Hosennähten, so stand der Diener unbeweglich da.
Aber wieder fand der Graf die Situation komisch, und jetzt mußte er sich sogar umdrehen, um sich nichts zu vergeben.
Doch Jean, der Galgenstrick, hatte dies sofort bemerkt, und nun wußte er — wie er seinen Herrn kannte — daß er sich nur durch einen guten, wenn auch gewagten Witz aus der Schlinge ziehen konnte.
„Wo sind meine Cigarren geblieben?” wetterte der Graf los und deutete auf die leere Kisten.
Starr, stumm und stramm stand Jean da.
„Die sind ja merkwürdig schnell alle geworden.”
Und da wagte Jean den Witz und sagte mit einem schlauen Lächeln: „Wenn der Herr Graf auch immer mitrauchen.”
Einen Augenblick war der Graf starr über diese beispiellose Frechheit, dann aber lachte er laut los, denn der Witz gefiel ihm doch gar zu gut. Seine üble Laune war fort, und Jean, der Galgenstrick, hatte wiedermal wieder 'mal gesiegt.
„Du bist ein ganz frecher Dachs, — aber ich will Dir noch einmal verzeihen, wenn Du ernsthaft Besserung gelobst.”
Der Herr Graf sind zu gütig!”
— Na, mach' keine Redensarten! Du weißt, ich liebe so etwas nicht, — aber merk' Dir wohl, es ist das letzte Mal, daß ich Dir verzeihe, — kommt noch einmal etwas Etwas vor, dann fliegst Du raus.”
„Der Herr Graf werden keine Veranlassung haben —”
„Nun gut, hol' jetzt meinen Rock, ich gehe aus.”
Im Nu war der Rock da.
„So, nun den Paletot.”
Behend und geschäftig sprang Jean an den Schrank, den Ueberrock herauszusuchen.
Während dessen hatte der Graf den Gesellschaftsrock angezogen, und eben, als er mit der Hand über die Brust strich, merkte er, daß in der einen Tasche etwas Etwas steckte. Er langte hinein und fand einen Brief, der stark nach Parfüm duftete. Da es nie seine Gewohnheit war, Briefe so lose einzustecken, wußte er sofort, daß Jean auch diesen Rock schon getragen hatte und bei der Gelegenheit wohl dies Briefchen stecken geblieben war. Er nahm sich indessen zusammen und verrieth sich mit keiner Miene.
Als er den Paletot angezogen hatte, schickte er den Diener hinaus. Und nun entfaltete er das rosa Briefchen.
Erstaunt las er: „Mein lieber Freund! Ich komme um fünf Uhr in Ihre Wohnung. Gruß! Emmy.”
„So ein verdammter Hallunke!” wetterte er belustigt los. „Bestellt sich sein Liebchen in meine Wohnung! und während ich harmlos im Klub sitze, thun sich die Schelmen hier an meinen Weinen und Likören gütlich! — Aber warte nur, Bürschchen, Dir werde ich jetzt mal ein Exempel statuiren!”
Er schellte. Sofort erschien Jean.
„Ich gehe jetzt in den Klub. Ob ich vor zehn zurück bin, ist fraglich. Du kannst Dich also schlafen legen.”
„Zu Befehl, Herr Graf!”
Aber kaum war der Herr zur Thür hinaus, da that Herr Jean einen Jauchzer, klatschte vergnügt in die Hände und ging sofort an's Werk.
Und mit geschickter Hand richtete er sofort für zwei Personen einen Theetisch her, stellte Likör, Gebäck und auch die Bonbonniere zurecht, dann brachte er ein frisches Sträußchen, und als er das Arrangement übersah, war er zufrieden damit.
Nun schnell ein wenig Toilette gemacht, denn es sind ja nur noch zehn Minuten bis fünf. Also eilte er an den Garderobenschrank seines Herrn und legte einen eleganten Anzug heraus.
In diesem Augenblick trat der Graf ein.
Jean war so bestürzt, daß er wie gelähmt dastand.
„Nun, was ist denn das?” fragte Graf Brenken harmlos erstaunt und deutete auf den Theetisch.
„Das?” mit Gewalt beherrschte er sich. „Das ist — oh, ich habe nur den Theetisch gedeckt.”
„Für wen hat er Er denn das gemacht?”
„Aber doch nur für den Herrn Grafen?!”
„Für mich!?”
Zu Befehl, Herr Graf?! ich weiß doch, daß der Herr Graf es gerne haben, wenn Abends beim Nachhausekommen der Theetisch gedeckt ist.”
„Und gleich für zwei Personen?”
„Falls der Herr Graf noch einen Freund mitgebracht hätten.”
„Sehr gut,” der Graf mußte wirklich lachen über diese Frechheit — „und sogar Blumen.”
Der Herr Graf lieben doch Blumen.”
„Du bist ja überaus aufmerksam. Aber was ist denn das? Da liegt ja mein neuer Anzug.”
„Ganz recht! ich wollte ihn soeben vornehmen, um einen Fleck daraus zu entfernen.”
„Einen Fleck? Aber ich habe ja den Anzug noch garnicht getragen.”
„Aber ein Fleck ist dennoch darin.”
„Zeig' doch mal her. Wo denn?”
„Ja, Herr Graf, ich habe ihn soeben entfernt.”
Wieder mußte der Herr laut auflachen, denn die Frechheit des Burschen imponirte ihm doch einigermaßen, aber wieder nahm er sich zusammen, um sich den Hauptspaß nicht zu verderben.
„Hier, nimm mir den Paletot ab.”
„Zu Befehl, Herr Graf!” Bestürzt trat Jean heran.
„Und dann kannst Du mir den Thee besorgen.”
„Der Herr Graf bleiben zu Hause?” platzte Jean heraus.
„Hast Du vielleicht etwas dagegen?”
„Verzeihen der Herr Graf, aber ich dachte —”
„Denk' Du lieber an Deine Arbeit! Also schnell den Thee, verstanden!”
„Zu Befehl, Herr Graf!” geknickt schlich Jean hinaus, — nun war er aber gründlich hineingefallen!
Pfiffig lächelnd sah der Graf ihm nach. Er freute sich, den frechen Kerl jetzt mal abzufassen, trotz alledem aber konnte er ihm doch nicht ernsthaft zürnen, weil er ihn als einen tüchtigen und intelligenten Diener kannte, und deshalb beschloß er, ihn mit dem Schreck und einer Strafpredigt fortkommen zu lassen.
Fnf Minuten später servirte Jean den Thee; er sah recht wehmüthig dabei aus, denn er dachte: wie schön wäre es jetzt, wenn Du mit der kleinen Emmy hier säßest!
In diesem Augenblick schlug draußen die Glocke an.
Bestürzt fuhr Jean zusammen und rührte sich nicht von der Stelle.
„Nun, warum öffnest Du nicht?”
„Ach so, — Verzeihung! ich überhörte es” — zitternd schlich Jean hinaus, — „jetzt steh' mir bei, o Himmel!” flüsterte er bebend.
Auch Graf Brenken war äußerst gespannt. Er trat an die Thür und sah in den Flur hinaus.
Aber die Dame, die beide erwartet hatten, war es nicht.
Befreit athmete Jean auf.
„Nun, was ist es gewesen?”
„Ach, nur ein Brief, Herr Graf.”
„Zeig' doch mal her,” sagte er lächelnd und nahm dem verblüfften Diener das Briefchen fort. Dann holte er den anderen Brief hervor und verglich die Handschrift. Und dann fragte er lächelnd: „Auch von Fräulein Emmy, was?”
Jetzt war Jean vollständig konsternirt und fand vor Scham und Erstaunen kein Wort der Entgegnung.
„Hier, öffne den Brief.”
Zitternd that es der Diener.
„Lies vor.”
Und nun las Jean mit bebender Stimme vor: „Mein Herr, ich weiß jetzt — gottlob noch zur rechten Zeit — daß Sie mich schändlich belogen haben! Sie gaben sich für den Herrn aus, aber Sie sind nur ein Diener! Ich verachte Sie, mein Herr!”
„Ich auch!” rief der Graf und lachte laut auf.
Stumm, purpurübergossen und tief beschämt stand Herr Jean da.
„Siehst Du, Bürschchen, das geschieht Dir ganz recht, — wer sich in Gefahr begiebt, der kommt darin um, — das merke Dir!”
„Gnade, Herr Graf,” flehte Jean, „es soll niemals wieder vorkommen!”
„Und das soll ich Dir glauben, Du Schelm?”
„Mein Ehrenwort, Herr Graf!”
Mit heiterer Miene rief der Herr: „Immer besser! Jetzt geben sogar die Diener schon ihr „Ehrenwort”!”
„Verzeihen mir der Herr Graf dies Mal nur noch.”
Als der Graf ihn so jammernd dastehen sah, hatte er Mitleid und sagte: „Nun, es sei, ich will Dir diesmal noch verzeihen, — aber merk' es Dir wohl, — erfahre ich nur das Geringste, dann fliegst Du unbarmherzig sofort hinaus.”
„Der Herr Graf sind sehr gnädig!”
„Schon gut. — Nun gieb mir den Paletot, jetzt gehe ich doch in den Klub.”
Behend sprang Jean hinzu und half seinem Herrn anziehen. Als er fünf Minuten später allein war, saß er sinnend da und dachte: weiß der Himmel, was einem heutzutage die Herrschaft alles für Unannehmlichkeiten macht — — —!
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